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4) Das Franz-Kafka-Museum in Prag und seine dunklen Labyrinthe

Franz-Kafka-Museum

Fensterlose Räume, sparsame Beleuchtung, ein Labyrinth aus Schubladen: Das Franz-Kafka-Museum in Prag versetzt die Besucher in die bedrückende Welt der Bürokratie, die der Schriftsteller so oft in seinen Werken thematisiert hat. Die modern gestaltete Ausstellung zeigt zeitgenössische Fotografien, Auszüge aus Kafkas Briefen und Tagebüchern, Animationen seiner Zeichnungen und Erstausgaben seiner Bücher. All das soll es den Besuchern ermöglichen, sich in die Persönlichkeit Kafkas einzufühlen.

Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

Von der Karlsbrücke aus ist die frühere Herget-Ziegelei gut zu erkennen. Der helle Bau mit dem leuchtenden Ziegeldach schmiegt sich an das Moldauufer der Kleinseite. Kommt man in den offenen Hof, fällt ein Wasserspiel der besonderen Art auf: Zwei sich gegenüberstehende Männer pinkeln in ein Becken mit den Umrissen der Tschechischen Republik. Es überrascht nicht, dass für dieses provokante Kunstwerk David Černý verantwortlich zeichnet.

Gesellschaftskritik ist es wohl, was Černý mit Franz Kafka verbindet. Der Schriftsteller hat schon seit 2005 ein Museum in seinem Prag – der Titel der Exposition lautet dann auch „Město K.“ (Stadt K.). Für das Konzept habe es nicht ausgereicht, nur chronologisch Kafkas Leben darzustellen, erläuterte Museumsmanager Tomáš Kašička einst gegenüber der Tageszeitung Právo. Die Herausforderung bestehe gerade darin, die großen Konflikte in der Biografie zu erfassen und sich von der Sichtweise des Künstlers selbst leiten zu lassen, so Kašička. Dazu biete das ehemalige Ziegeleigebäude den perfekten Raum, meint die Ausstellungsführerin Zlatina Novák Jeřábková:

Zlatina Novák Jeřábková | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

„Die Art und Weise, wie die Exposition aufgebaut ist, erschafft die typischen Labyrinthe, die auf verschiedenen Ebenen in den Werken Kafkas auftauchen. Dies sind unter anderem die Labyrinthe der Prager Altstadt, die ihm Angst machten, aber ebenso faszinierten. Es ist ein großer Vorteil dieses Gebäudes, dass diese Atmosphäre hier nachempfunden werden kann. Zugleich befindet sich die Herget-Ziegelei an einem schönen Ort, von dem aus die Moldau und die Karlsbrücke zu sehen sind und gegenüber eben auch die Altstadt.“

Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

Die Ausstellung entwerfe eine imaginäre Topografie von Kafkas Lebenswelt, fährt Jeřábková fort. Familie, Freunde und die komplizierten Beziehungen zu seinen Partnerinnen würden eine wichtige Rolle spielen, um seine Persönlichkeit verstehen zu können, so die Expertin:

Die Schriftsteller,  die sogenannten Arconauten,  die sich im Arco-Café trafen | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

„Ich meine, Kafka sollte keiner dieser unerreichbaren oder unantastbaren Autoren sein, die eher abstoßend wirken. Vielmehr sollten wir auch seine – nennen wir sie – Schwächen verstehen. Das hilft, sich mehr mit seinem Werk zu identifizieren. Ich denke, viele seiner Gefühle sind uns allen nicht ganz fremd, vielleicht unterdrücken oder ignorieren wir sie auch. Kafka ist also ein Autor, durch den man besser zu sich selbst finden kann und zu einem besseren Verständnis dessen, was in der Welt passiert.“

Kafka, der Vegetarier

Kafkas Leben und sein Inneres verstehen, dabei soll der Streifzug durch die „Stadt K.“ also helfen. Dabei treffen die Besucher in einem der ersten Räume auf das Hologramm einer Frau. Es handle sich um eine Sängerin aus Lwiw, dem damaligen Lemberg, die Kafka sehr gemocht habe, schildert Jeřábková:

Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

„Kafka hatte eine Phase, in der er Hebräisch lernte und mehr über seine jüdischen Wurzeln erfahren wollte. Er ging sehr gern ins Kino, mochte Theater und Operetten. Zu dieser Zeit traten in Prag viele Ensembles aus Lwiw und von anderswo auf, die Jiddisch sangen. Das war zwar nicht die Sprache der hiesigen jüdischen Gemeinde, trotzdem war sie für aschkenasische Juden wie Kafka zu verstehen.“

Bei den Kafkas wurden die wichtigsten jüdischen Feiertage eingehalten, ansonsten war die Familie aber nicht streng gläubig. Franz warf seinem Vater zuweilen sogar vor, ein typisch westlicher Jude zu sein. Später habe sich der Literat aber eingestehen müssen, sich selbst nicht gänzlich mit dem Judentum identifizieren zu können, schildert unsere Begleiterin. Kafkas Essgewohnheiten zumindest seien ganz sicher nicht religiös motiviert gewesen…

Kafkas Zeichnungen | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

„Schon in jungem Alter wurde er Vegetarier. Ständig hatte er Angst vor ernsten Krankheiten. Denn das, was andere Leute als ganz alltägliche Probleme erlebten, waren für Kafka existentialistische Dramen. Immer hatte er das Gefühl, dass er einmal wegen seiner inneren Anspannung krank werden würde. Und er erwartete auch, jung zu sterben. Darum trieb er viel Sport, ging schwimmen oder laufen und verbrachte viel Zeit in der Natur. Zudem hoffte er, dass es auch helfe, Vegetarier zu werden.“

Sorgen und Selbstzweifel hegte Kafka aber nicht nur in Bezug auf seinen Gesundheitszustand, sondern auch auf seine Liebesbeziehungen. Den Frauen im Leben des Schriftstellers ist ein zentraler Teil von „Město K.“ gewidmet. Eine Heirat habe Kafka immer vermieden, sagt Jeřábková, und das aus Angst, dann nicht mehr genügend Zeit für seine eigentliche große Liebe zu haben – die Literatur. Und weiter:

Franz Kafka und Prag | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

„Mit Felice Bauer war er gleich zweimal verlobt. Sie hatte ihn von Anfang an durch ihre emanzipierte Haltung fasziniert sowie dadurch, dass sie für eine sehr moderne Firma arbeitete, die Vinylschallplatten für Odeon Records herstellte und Diktafone. Denn Kafka begeisterte sich für Technik und die neuesten Entwicklungen. Später verlobte er sich mit Julie Wohryzek. In dieser Zeit brauchte er wohl jemanden weniger anspruchsvollen an seiner Seite. Julie interessierte sich für Mode und Operetten. Ausgehend davon, was Kafka seinen Freunden schrieb, war sie ihm aber intellektuell eher nicht gewachsen.“

Dennoch plante das Paar seine Hochzeit. Als Kafkas Vater Hermann aber intervenierte, berichtet Jeřábková weiter, sei der damals 36-jährige Schriftsteller derart aufgebracht gewesen, dass er seinen berühmten – und nie abgeschickten – Brief an den Vater zu schreiben begann.

Jüdische Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

Kafkas Einfluss auf Iron Maiden

Kafkas Zeichnungen | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

An einer Leinwand im Museum ist die dünne schwarze Figur aus Kafkas Zeichenfeder zu sehen, wie sie ihren Kopf erschöpft auf einen Tisch legt. Sie sei ein Symbol für all die langen Stunden, die der junge Mann am Schreibtisch einer Versicherungsgesellschaft verbringen musste, merkt unsere Begleiterin an:

„Dieser Teil der Exposition dokumentiert für mich persönlich die erstaunlichste Verflechtung von Kafkas Alltagsleben und seinem Werk. Dies betrifft die Szene im Roman ‚Der Prozess‘, in der die Hauptfigur Josef K. sich durch die Labyrinthe der Bürokratie schlägt und Informationen sucht, ob er tatsächlich die Straftat begangen hat, derer er beschuldigt wird. Und weil Kafka selbst seine Zeit im Büro verbringen musste und ein Diener der Bürokratie war, bezieht er sich also auf sein tägliches Leben. Dies wird in der Ausstellung auch dadurch symbolisiert, dass die auf den Schubladen aufgeklebten Namen einerseits zu Kafkas Figuren gehören und andererseits zu seinen Freunden, Schwestern oder Verwandten.“

Kafkas Zeichnungen | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

Durch einen zeitgenössischen Telefonhörer ist zudem Lärm zu hören – der Lärm der täglichen Vorgänge in der Versicherung, den Kafka so sehr verabscheute. Aber auch die Familie war für Kafka oft unerträglich laut, wie in dem Kurztext „Großer Lärm“ von 1912 deutlich wird.

Interessant, dass gerade diese Details offenbar andere Künstler dazu inspirieren, selbst Lärm zu produzieren…

„Vor kurzem habe ich ein Interview mit Bruce Dickinson geführt, dem Sänger der Heavy-Metal-Band Iron Maiden. Es kam heraus, dass er schon einmal unser Museum besucht hat und genau von diesem Ausstellungsteil absolut fasziniert war. Er machte mich darauf aufmerksam, dass uns hier wohl gar nicht so bewusst ist, wie oft unterschiedliche Künstler auch von Franz Kafka inspiriert werden.“

Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

Ansonsten sei es schon lange nicht mehr so, dass vor allem Touristen in die ehemalige Herget-Ziegelei kommen, betont die Ausstellungsführerin. Auch die Tschechen hätten das Kafka-Museum längst für sich entdeckt:

„Das Bewusstsein für Kafka ist bei der älteren Generation allerdings nicht so stark ausgeprägt. Daran lässt sich gut erkennen, welche Rolle die Schule spielt. Das frühere Regime war Autoren wie Kafka nicht sehr zugeneigt, und sie waren nicht im Lehrplan vorgesehen. Ich habe den Eindruck, dass die ältere Generation Kafka – fälschlicherweise – nicht unbedingt als Vertreter der tschechischen und Prager Kulturlandschaft sieht. Aber das ist ein Ergebnis des früheren Bildungssystems. Heute gehört er zum Lehrplan, und das merkt man den jungen Lesern auch an. Das Museum wird regelmäßig von Gruppen aus tschechischen Schulen besucht.“

Kafka im Kurort,  Tatra im Jahr 1921 | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

Nachdem wir uns in der „Stadt K.“ nun eingehend mit Franz Kafka, seinen inneren Nöten, äußeren Beziehungen und seiner Wirkung auf andere beschäftigt haben, führt eine Frage dann doch wieder auf sein „Mütterchen Prag“ zurück. Diente die hiesige Burg, die der Schriftsteller wohl so oft in seinem Alltag gesehen haben muss, als Vorlage für seinen Roman „Das Schloss“? Zlatina Novák Jeřábková hat keine eindeutige, aber eine nachvollziehbare Antwort:

Hügel,  die Kafkas Tod symbolisieren | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

„Die Frage ist zu direkt gestellt. Denn alles in Kafkas Werken verändert sich und entspricht nicht mehr der Realität. Nach all dem zu urteilen, was in diesem Museum präsentiert wird, neigen viele der heutigen Forscher eher zu der Annahme, dass als Inspiration das Schloss in Frýdlant diente. Es hat auch eine Menge Gänge, wirkt ebenfalls wie ein Labyrinth und hat verschiedene Innenhöfe. Zudem wissen wir, dass Kafka oft dort war.“

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Der 100. Todestag von Franz Kafka bietet nicht nur die Möglichkeit, Kafkas Werk und Leben aus aktuellen und neuen Perspektiven zu betrachten. Alle Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge, literarische Links sind auf der Website des Projekts Kafka2024 zu finden.

Kafka 2024 | Foto: Adalbert Stifter Verein
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