Kletter-Ass Adam Ondra: Klappt es diesmal mit einer Olympia-Medaille?
Adam Ondra gilt als einer der besten Kletterer der Welt. Als erster Mensch überhaupt bezwang er eine Route mit dem Schwierigkeitsgrad 9c. Der Spitzensportler konnte bereits zahlreiche Titel gewinnen. Doch eine Olympia-Medaille zählte bisher nicht dazu. Wird sich das in Paris ändern?
Der Tscheche Adam Ondra ist ganz ohne Zweifel ein Ausnahmetalent und gilt manchen als bester Kletterer der Welt – nicht erst, seit er vor einigen Jahren in Norwegen eine Route mit dem Schwierigkeitsgrad 9c überwunden hat – dem höchsten Grad überhaupt. Nun will Ondra eine Medaille bei Olympia in Paris holen. Am Montag tritt der 31-jährige Erfolgssportler im Bouldern und Schwierigkeitsklettern an, später dann auch im Speedklettern. Wie rechnet sich der Sportler selbst seine Medaillenchancen aus?
„Ich muss ganz objektiv sagen, dass sich die anderen Jungs in den letzten zwei, drei Jahren sehr verbessert haben. Im Schwierigkeitsklettern ist das Niveau stark angestiegen, zuvor hatte es eher stagniert. Jetzt gibt es nicht mehr zwei, drei starke Personen, sondern acht oder zehn, die beim Weltcup oder bei Olympia Medaillenchancen haben. Im Schwierigkeitsklettern gewinnt am Ende derjenige, der am fittesten ist.“
Verletzt nach Paris
Doch gerade in Sachen Fitness ist es um Adam Ondra aktuell womöglich nicht sonderlich gut bestellt. Mitte Juni hatte sich der Sportler nämlich bei einem Wettkampf an der Schulter verletzt. Und wie Ondra nun vor der Abreise nach Paris bekanntgab, scheint ihn die Verletzung immer noch in seinen Bewegungsabläufen einzuschränken:
„In bestimmten Positionen ist der Muskel am Ansatz der Rotatorenmanschette überlastet. In einigen Momenten bekomme ich dann Probleme damit.“
Dennoch kündigte Ondra an, alles geben zu wollen – was aber einfach nicht immer möglich sei, so das Kletter-Ass:
„Ich würde den Schmerz ja gern ignorieren. Aber vermutlich gibt es da einige Rezeptoren, die den Körper vor schwerwiegenderen Verletzungen schützen wollen. Mein Arm schaltet dann einfach ab, und ehe ich mich versehe, liege ich auf dem Boden.“
Wie sich der Sportler auf die Olympischen Spiele vorbereitete, erklärte er Mitte Juli einem Reporter des Tschechischen Rundfunks:
„Ich werde jetzt eine Woche in Innsbruck sein. Die Routen dort sind denen vom Wettkampf sehr ähnlich. Gemeinsam mit den Kollegen werden wir dort auch ein simuliertes Turnier austragen.“
Nach dem Trainingslager in Österreich setzte Ondra seine Olympia-Vorbereitungen in Tschechien fort:
„Ich habe dort wunderbare Trainingsbedingungen. Einige Bauleute werden mir einen Boulder errichten. Meine Trainingspartner probieren die Wand dann noch vor mir aus. Sie sagen dem Bauteam gegebenenfalls, wo es noch herausfordernder sein muss oder wo neue Elemente nötig sind, damit der Schwierigkeitsgrad möglichst genauso ist wie bei den Olympischen Spielen.“
Ein Kletterer von klein auf
Eine Medaille bei Olympia wäre für den Tschechen der Höhepunkt seiner bisherigen Kletterkarriere. Aber wie und wo begann die? Adam Ondra wurde 1993 in Brno / Brünn geboren. Mit dem Klettern kam er schon früh in Kontakt, wie er vor fünf Jahren im Interview für Radio Prag International schilderte:
„Das kam ganz natürlich, weil meine Eltern auch Kletterer sind. Sie haben mich schon als Kind mit zu den Felsen genommen. Ich bin dann unten gesessen, habe Sandkuchen geformt und dabei zugeschaut, wie meine Eltern mit Bekannten zusammen geklettert sind. Ich hätte mich wohl komisch gefühlt, wenn ich als Einziger nicht auch irgendwann dabei gewesen wäre. Deswegen wollte ich mit drei, vier Jahren, dass mich meine Eltern ebenfalls ans Seil binden. Das haben sie dann zum Glück auch gemacht.“
Und so fasziniere ihn der Sport bis heute:
„Das Schöne am Klettern ist unter anderem auch, dass man unglaublich tolle Leute kennenlernt, mit spannenden Lebensgeschichten. Da zeigt sich dann, wie der Wille einen dazu bringen kann, praktisch alle Schwierigkeiten zu überwinden. Außerdem gefällt mir, dass ich in alle Gegenden der Welt komme. Jeder Ort und jede Felswand ist anders. Man klettert nicht einfach links, rechts hoch, sondern jede Wand hat ihre Besonderheit. Und diese kennenzulernen, macht mir sehr viel Spaß.“
Die schwierigste Route der Welt
Eine dieser besonderen Wände befindet sich in der Nähe von Flatanger in Norwegen. 2017 hat Ondra hier die weltweit erste Kletterroute im höchsten Schwierigkeitsgrad 9c absolviert. „Silence“ hat sie der Sportler selbst genannt. Die 45 Meter lange Strecke verläuft über das stark überhängende Höhlendach. Was braucht es, um an einer derartigen Wand entlangklettern zu können?
„Ich habe dicke Finger. Aber zum Glück sind sie eher kurz, dadurch ist der Hebel besser. Das macht sich vielleicht gerade bei den Mini-Haltemöglichkeiten positiv bemerkbar. Meine Finger sind die Grundlage, die sollten bei jedem Kletterer stark sein. Aber auch allgemein habe ich in meinen Armen viel Kraft. Wichtig ist einfach das Zusammenspiel des ganzen Körpers.“
Adam Ondra klettert sowohl am Naturfels als auch in der Halle. Wo fühlt er sich mehr zuhause? Darauf antwortete er 2019 im Interview wie folgt:
„Ich sehe mich vor allem als Felskletterer. Den größten Teil meiner Karriere habe ich draußen verbracht. Dort reicht das Spektrum von einem zwei Meter hohen Felsblock bis zur 1000-Meter-Wand. Wobei die Wand nicht unbedingt schwerer sein muss als der Felsblock. Ich mache jedenfalls alles. Das geht los beim Bouldern eben an einem zwei Meter hohen Felsen. Dazu gehört auch das Sportklettern an einer gut gesicherten, etwa 50 Meter hohen Wand. Und nicht zuletzt gehe ich gerne an die sogenannten Big Walls wie zum Beispiel den El Capitan im Yosemite-Nationalpark.“
Neues Reglement könnte in Paris Vorteile bringen
Die Erfolge Ondras illustriert Eindrucksvoll sein Medaillenspiegel. Elfmal holte er bisher Edelmetall bei Weltmeisterschaften, achtmal bei Europameisterschaften, 22-mal wurde er Weltcupsieger. Nun soll also eine Medaille bei den Olympischen Spielen folgen. Zu dieser Hoffnung sagt Ondra:
„Wenn ich nicht davon ausgehen würde, dass ich eine Medaille gewinnen kann, würde ich nicht nach Paris fahren. Die Möglichkeit besteht also. Ich weiß aber, dass es extrem anstrengend wird. Ich muss in Form sein, hundert Prozent abliefern und Glück haben – dann könnte es mit einer Medaille klappen.“
Bei seiner ersten Olympia-Teilnahme vor drei Jahren spielte dabei nicht alles zusammen. In Tokio, wo das Klettern zum ersten Mal als olympische Disziplin mit dabei war, wurde Ondra nur Sechster. Nach dem Wettkampf zeigte er sich damals geknickt:
„Das ist für mich eine große Enttäuschung. Ich habe zwei Jahre lang gezielt auf Olympia hintrainiert und dafür viel geopfert. Wenn ich es wenigstens zu einem Ergebnis gebracht hätte, mit dem ich zufrieden sein könnte…“
In Tokio bestand das Sportklettern aber noch aus drei Unterdisziplinen. Das Speedklettern, das Bouldern und das Lead- oder auch Schwierigkeitsklettern wurden kombiniert ausgetragen. Ondra zeigte sich darüber nicht zufrieden. In Paris gibt es nun zwei eigenständige Wettkämpfe: Bouldern und Leadklettern zum einen, Speedklettern zum anderen.
Beim Bouldern muss eine viereinhalb Meter hohe Wand bezwungen werden, wobei es möglichst wenige Versuche geben soll. Es gibt keine Seile, bei Stürzen landen die Sportler auf Matten. Beim Schwierigkeitsklettern muss in einer vorgeschriebenen Zeit eine teils überhängende, 15 Meter hohe Wand hinaufgeklettert werden. Je höher man kommt, desto mehr Punkte gibt es. Beim Speed- oder Geschwindigkeitsklettern muss man wiederum in möglichst kurzer Zeit eine senkrechte, 15 Meter hohe Wand überwinden. Dabei treten immer zwei Sportler im direkten Wettkampf gegeneinander an.
Ondra könnte die Aufteilung in Boulder und Lead auf der einen sowie Speedklettern auf der anderen Seite zugutekommen. Denn in der Vergangenheit sagte er von sich selbst, kein Geschwindigkeitsspezialist zu sein. Und auch vor der Abreise nach Paris schien der Kletterer sich eher auf das Bouldern zu fokussieren:
„Dabei kommt es natürlich auch auf das Glück an. Ich freue mich, dass meine Leistung im vergangenen und auch in diesem Jahr konsistent war. Die schwachen Seiten, die es gab, habe ich vermutlich ausgemerzt. Und die größten Schwachpunkte werden in dem Kombinationsformat womöglich ohnehin nicht zum Tragen kommen. Das freut mich schon. Auf der anderen Seite hat die Qualifikation in Shanghai und Budapest gezeigt, dass ich in unfassbar guter Form sein muss und unglaublich viel Glück brauche, um in Paris um eine Medaille kämpfen zu können.“
Aber selbst wenn es kein Edelmetall gibt, bleibt der Erfolg des jungen Tschechen wohl unstrittig. Denn immer mehr junge Menschen in seinem Land wollen nun mit dem Klettern anfangen. Beigetragen hat dazu wohl auch der 2022 erschienene Dokumentarfilm „Adam Ondra: Pushing the Limits“. Das Interesse der tschechischen Öffentlichkeit illustriert auch eine jüngst erschienene Studie des Meinungsforschungsinstituts Ipsos. 13 Prozent der Befragten in Tschechien gaben darin an, das Sportklettern bei Olympia verfolgen zu wollen. Was zunächst wenig klingt, stellt dabei im globalen Vergleich einen hohen Wert dar. Denn im weltweiten Durchschnitt liegt das Interesse an dieser Disziplin nur bei drei Prozent.
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